ZWEIFEL

HINTERCONTI, Hamburg, 1.9. – 10.9. 2023

Bild oben: Installationsskizze: Grauer, Schwan, 2023, Nieto, 2023, Turnaound,2023, Ikebana, 2023

Grey Swan Theory, 2023, Nieto, 2023, Turnaound,2023, Ikebana, 2023

Die Ausstellung ZWEIFEL vereint Elemente aus unterschiedlichen Werkgruppen. Der folgende Text wurde der Ausstellung vorangestellt und fasst die Elemente zusammen.

ZWEIFEL

„An allem ist zu zweifeln“, so lautet der Titel des letzten Albums des Musikkollektivs School Of Zuversicht. Der Zweifel als Möglichkeitsraum um Dinge produktiv neu zu denken ist die eine Seite.

Aber der Zweifel ist auch Stoff für die altbewährte Methode der Zersetzung auf der Ebene der Geheimdienste. Als solche ist er inzwischen in die Sphäre des Alltags hinübergeschwappt. Heute sind Zweifel säende Bots unablässig unterwegs, um noch verbliebene zarte Pflänzchen des Denkens auszudörren und mit Propaganda zu betonieren.
Etwas mit Zweifeln zu belegen, überzeugt durch vermeintliche „Mitwisserschaft“.
Zweifel werden dabei ganz einfach umgestülpt und echohaft als Meinung verhandelt. Die „gefakte Mondlandung“, das „Heizungsverbot“ und der „Klimaschwindel“, um nur einige zu nennen, sind für viele attraktiv.
Im Gegenteil erscheint es nicht verlockend ohne Gewissheiten zu leben.

 

Die Zweifel hervorrufenden Anlässe sind dabei legendär – Potemkinsche Dörfer, Persilscheine, die Zahnfee, Aktion Konfetti – und in der Zivilisation fest verankert. Die Sicherheitsbehörden und Teile der Politik tun das ihrige, um die Liste der (bislang unaufgeklärten) Vorfälle zu verlängern.
Mal geht es bei bewusst hervorgerufenen Täuschungen nur um harmlose Kosmetik im Alltag, aber es kamen und kommen auch Menschen zu Schaden, oder werden (mindestens) um ihren Anteil am Kuchen gebracht.

Der Versuch diese Täuschungen zu erkennen, Machtgefüge und Illusionen zu durchdringen, ist notwendig, bisweilen überaus langwierig und immer komplex. Der Austausch darüber ebenso, dazu gibt es Risiken und Gegenwind. Und auch der Elefant im Raum und der grau-schwarze Schwan, sowie ein paar blinde Flecke haben hier ihren Auftritt.

Aktenordner, Aquarell, 2015

Beim Versuch des Erkennens beginnt der Raum sich nach und nach zu öffnen, schwingt zwischen Zeiten und Orten. Fragil, wie ein flüchtiger Schatten, meldet sich schließlich die eigene Bedingtheit, während Lichtflecken auf ihrem Weg dem Material begegnen, das, umgeben von Geräuschen und Gerüchen, von der Schwerkraft gehalten wird.

Ikebana (Das Drama um den Hamburger NSU-Untersuchungsausschuss),
Aktenordner / Holz, 2023
Serie Kohle (D.N., HSH Nordbank / R.F., Lehmann Brothers), Kohlezeichnung, 2018
Das Gedächtnis Hilanderas VI, Transferdruck, 2023
Rana Plaza, Sahbar, Bangladesh / KIK-Kollektion 2013)
Das Gedächtnis Hilanderas V, Transferdruck, 2023
(Las Hilanderas, Diego Velázquez)
Instant Spaces / In geraumer Zeit, (Las Meninas), Videoinstallation, 2009
Schatten, Videoloop, 2023
Schatten, hinterconti, 28.5.2023, Videoloop
Gedächtnislücke (53. / 78), Laser- und Pochoirdruck, 2017

*) Anmerkung zum GRAUEN SCHWAN:

SCHLAMPEREI,

überall Schlamperei. Die Welt besteht geradezu daraus. Sie hält aber auch erstaunlich viel davon aus, ohne dass etwas passiert. Ein ungeöffneter Brief, ein falsch herum montierter Türgriff, ein aufgeschobener Ölwechsel, eine morsche Gummidichtung, ein ausgelassenes Update, ein verfetteter Filterschwamm, eine teilsanierte Hängebrücke, ein Haarriss im Staudamm, ein abgelaufener Fruchtquark, ein rostiger Gewehrlauf, ein ungekündigter Mobilfunkvertrag, eine Mehlfliege in der Küche, eine Motte im Schrank, Kondenswasser im atomaren Endlager, ein schmerzender Backenzahn… nichts davon kümmert sie sonderlich. Aber dann, ganz plötzlich, ohne ersichtlichen Grund und ausgerechnet zwanzig Minuten bevor alle ins Wochenende gehen, wird es ihr mit der Schlamperei zu viel.

Text: Veit Sprenger

**) Anmerkung zum GRAUEN SCHWAN:

Die Black-Swan-Theorie wurde durch die Publikation von Nassim Nicholas Taleb international bekannt. Taleb sieht die Interpretation eines Ereignisses als Schwarzer Schwan als abhängig vom Beobachter. Taleb glaubt, dass die meisten Menschen – fest davon überzeugt, es gebe nur weiße Schwäne – „schwarze Schwäne“ ignorierten, weil es angenehmer sei, die Welt als geordnet und verständlich zu betrachten. Taleb nennt diese Blindheit „platonischer Fehlschluss“.
Taleb bezeichnet Schwarze Schwäne, die zu einem gewissen Grad erwartet werden können, als Graue Schwäne. Zu diesen Grauen Schwänen zählt der Autor „Erdbeben, Blockbuster bei Büchern und Börsencrashs“. Die Eigenschaften Grauer Schwäne lassen sich jedoch „nicht vollständig ermitteln“. Ebenso können die Grauen Schwäne oder deren Eigenschaften nicht präzise berechnet werden. Taleb zufolge ist kontrafaktisches Denken eine Möglichkeit, sich vor Schwarzen Schwänen, also vor unbekanntem Nichtwissen zu schützen.
Kontrafaktisches Denken (lateinisch „entgegen den Fakten“) ist ein kognitiver Vorgang, der sich auf Überlegungen über nicht eingetretene Ereignisse bezieht.
Kontrafaktisches Denken und daraus resultierende kontrafaktische Annahmen beziehen sich auf Ereignisse, die sich möglicherweise in der Vergangenheit ereignet hätten, oder hätten ereignen können, wenn gewisse andere Ereignisse (nicht) eingetreten wären. Zwischen dem zu unterscheiden, was sich wirklich ereignet hat, und dem, was hätte passieren können oder beinahe passiert wäre, ist von großer Bedeutung, um die Kontrolle über die Realität zu behalten.

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