ErwartbareunvorhersehbareEreignisse

Grauer Schwan, 135 x 150 cm, Collage aus Aktenordnern


Der graue Schwan bezeichnet ein Ereignis, das sich so weit von der Normalität entfernt, dass es von der überwiegenden Mehrheit der Menschen eher nicht vorhergesehen, beziehungsweise als nicht sehr wahrscheinlich angesehen wird.

Detail

SCHLAMPEREI,

überall Schlamperei. Die Welt besteht geradezu daraus. Sie hält aber auch erstaunlich viel davon aus, ohne dass etwas passiert. Ein ungeöffneter Brief, ein falsch herum montierter Türgriff, ein aufgeschobener Ölwechsel, eine morsche Gummidichtung, ein ausgelassenes Update, ein verfetteter Filterschwamm, eine teilsanierte Hängebrücke, ein Haarriss im Staudamm, ein abgelaufener Fruchtquark, ein rostiger Gewehrlauf, ein ungekündigter Mobilfunkvertrag, eine Mehlfliege in der Küche, eine Motte im Schrank, Kondenswasser im atomaren Endlager, ein schmerzender Backenzahn… nichts davon kümmert sie sonderlich. Aber dann, ganz plötzlich, ohne ersichtlichen Grund und ausgerechnet zwanzig Minuten bevor alle ins Wochenende gehen, wird es ihr mit der Schlamperei zu viel.

Text: Veit Sprenger

Im Atelier

Der GRAUE SCHWAN (Hintergrund)

Die Black-Swan-Theorie wurde durch die Publikation von Nassim Nicholas Taleb international bekannt. Taleb sieht die Interpretation eines Ereignisses als Schwarzer Schwan als abhängig vom Beobachter. Taleb glaubt, dass die meisten Menschen – fest davon überzeugt, es gebe nur weiße Schwäne – „schwarze Schwäne“ ignorierten, weil es angenehmer sei, die Welt als geordnet und verständlich zu betrachten. Taleb nennt diese Blindheit „platonischer Fehlschluss“.
Taleb bezeichnet Schwarze Schwäne, die zu einem gewissen Grad erwartet werden können, als Graue Schwäne. Zu diesen Grauen Schwänen zählt der Autor „Erdbeben, Blockbuster bei Büchern und Börsencrashs“. Die Eigenschaften Grauer Schwäne lassen sich jedoch „nicht vollständig ermitteln“. Ebenso können die Grauen Schwäne oder deren Eigenschaften nicht präzise berechnet werden. Taleb zufolge ist kontrafaktisches Denken eine Möglichkeit, sich vor Schwarzen Schwänen, also vor unbekanntem Nichtwissen zu schützen.
Kontrafaktisches Denken (lateinisch „entgegen den Fakten“) ist ein kognitiver Vorgang, der sich auf Überlegungen über nicht eingetretene Ereignisse bezieht.
Kontrafaktisches Denken und daraus resultierende kontrafaktische Annahmen beziehen sich auf Ereignisse, die sich möglicherweise in der Vergangenheit ereignet hätten, oder hätten ereignen können, wenn gewisse andere Ereignisse (nicht) eingetreten wären. Zwischen dem zu unterscheiden, was sich wirklich ereignet hat, und dem, was hätte passieren können oder beinahe passiert wäre, ist von großer Bedeutung, um die Kontrolle über die Realität zu behalten.